Licht aus — Ruhe im Schiff. Zum ersten Mal habe ich meine Hängematte gezurrt und mache mich jetzt mit dem ungewohnten Schlafplatz vertraut. Für die nächsten dreieinhalb Wochen muß ich damit zurechtkommen.
In der nächtlichen Ruhe hänge ich meinen Gedanken nach. Wie komme ich denn überhaupt hierher, und was erwartet mich in den nächsten Tagen und Wochen. Im Februar gab ein Fernsehfilm über die weißen Schiffe des deutschen Segelschulschiffvereins den ersten Anstoß. Die 1914 vom Stapel gelaufene Bark ,,Großherzog Friedrich August“ läuft als ,,Stadsraad Lehmkuhl“ unter norwegischer Flagge und nimmt Trainees mit. Das gab den Anstoß, im Internet nach einer eventuellen Homepage zu suchen. Ich wurde auf Anhieb fündig. Neben einer Beschreibung des Schiffs stieß ich auf einen Plan mit den im Jahr 2001 anstehenden Reisen. Als Highlight im Oktober von New York nach Brest. Das machte sehnsüchtig. Zwei Wochen später ein Bericht über eine einwöchige Reise von Bergen nach Schottland im Fernsehen. Danach stand mein Entschluß fest. Jetzt oder nie, zu meinem Fünfzigsten mache ich mal was total anderes. Also das noch vorhandene Sparkonto aufgelöst. Der Zweck des Kontos ist ja nicht mehr existent — sollte mal eine Uhr für meine Ex zum Fünfzigsten werden –; reicht gerade für die Reise, den Flug nach New York und die Bahnfahrt von Brest zurück nach Niedernhausen.
Also schnell alles gebucht und bezahlt. Jetzt geht es an die Planung der Ausrüstung. Ölzeug, Stiefel und alles, was ich für die Sommersegelei brauche, ist vorhanden. Anders sieht es mit warmem Zeug aus. Also noch eine Bestellung bei ,,Brendler“ …U-Boot-Lederjacke, Pullover, Pudelmütze und was sonst noch fehlt. Ganz schön teuer. Die Bestellung ist raus. Am darauffolgenden Samstag beim Brötchenholen noch schnell Lotto gespielt. Der Lottogewinn reicht genau zur Bezahlung aus. Das ist wohl ein Zeichen.Heute morgen hat mich Ron zu nachtschlafender Zeit zum Frankfurter Flughafen gefahren. Dann ein ruhiger Flug nach Paris. Ich gehe nochmals das ,,Handbook„ durch. In Deutsch sind die Bezeichnungen der einzelnen Segel und Enden ja fast alle bekannt, aber in Englisch oder gar Norwegisch? Der Aufenthalt in Paris gibt Gelegenheit, sich noch zollfrei mit Zigaretten einzudecken. Dann beginnt der Flug nach New York. Bald verschwindet Europa und macht Platz für den blauen Atlantik. Manchmal ist das Wasser durch die Wolkendecke zu sehen. Der Flug ist nicht ausgebucht, und so habe ich Platz für einen ausgedehnten Mittagsschlaf. Dann ist die amerikanische Küste erreicht. Aus der Vogelperspektive gesehen, fällt zuerst die andere Farbe auf. Europa ist dunkelgrün bis hellgelb, hier ist die vorherrschende Farbe ein leuchtendes Rot. Bald stehe ich in der Schlange vor der amerikanischen Zollabfertigung. Schon im Flugzeug habe ich die entsprechenden Fragebögen ausgefüllt. Der Zollbeamte kann mit der Angabe zur ersten Übernachtung ,,SS Stadsraad Lehmkuhl“ nichts anfangen. Ich finde mich kurz danach im Einreisebüro für berufsmäßige Seeleute unter Russen, Polen und Philipinos wieder und warte auf meine Abfertigung. Nach geraumer Zeit ist alles geklärt. Jetzt ist aber mein Gepäck nicht mehr auffindbar. Am Schalter der Air France bricht nach meiner Anfrage Hektik aus. Ich war gerade noch rechtzeitig. Das Gepäck war schon fast wieder in einem Flieger nach Europa unterwegs, da ich es nicht vom Band genommen hatte. Das war in letzter Minute. Jetzt mit allem in den Bus von Newark zum Times Square und von dort mit dem Taxi weiter zum Liegeplatz beim ,,Intrepid-Museum„.